Das Patriarchat ist ungesund
Männer dominieren Verkehrsunfälle, fast alle Süchte und häusliche Gewalt, sagt Boris von Heesen. Der Grund seien in vielen Fällen Geschlechterstereotpye, die Jungen von Geburt an prägen.
Viele Männer und auch manche Frauen
rollen mit den Augen, wenn ich bei Vorträgen darauf hinweise, wie sehr das Patriarchat unsere Gesellschaft immer noch im Würgegriff hat und wiegeln ab. Schnell kehrt aber Ruhe ein, wenn ich davon berichte, dass 70 Prozent der Mitglieder im Bundestag männlich sind sowie 90 Prozent der Bürgermeister. Männer übernehmen jeden Tag eineinhalb Stunden weniger unbezahlte Sorgearbeit als Frauen. Das sind 68 Arbeitstage pro Jahr. Auch in den Vorständen der Krankenkassen werden immer noch weniger als 30 Prozent der Posten mit Frauen besetzt. Keine Frage, es hat sich etwas bewegt in den letzten Jahren. Aber wenn wir hinter die Kulissen blicken, wird deutlich, dass wir noch einen weiten Weg zu gehen haben. Wie sehr wir als Gesellschaft zum Handeln gezwungen sind, zeigt sich, wenn wir rein volkswirtschaftlich die Folgen des Patriarchats betrachten. Insgesamt verursacht toxisches männliches Verhalten jährlich Zusatzkosten in Höhe von über 63 Milliarden Euro.
Männer dominieren Verkehrsunfälle, fast alle Süchte, häusliche Gewalt oder ungesunde Ernährung. Dies sind allesamt Bereiche, die einen direkten oder indirekten Bezug zum Gesundheitssystem haben. Wer jetzt reflexhaft gegenrechnen möchte, welche Kosten bei Frauen beispielsweise in der Frauenheilkunde oder aufgrund eines längeren Lebens entstehen, dem muss ich Zynismus vorwerfen, denn Frauen betreiben viel eher Gesundheitsfürsorge. Das Handeln der Männer jedoch bringt unnötig verletzte Menschen im Straßenverkehr durch männliche Raser hervor.
Toxisches männliches Verhalten verursacht jährlich Zusatzkosten von über 63 Milliarden Euro.
Ganze Kohorten von Männern belasten aufgrund ungesunder Lebensweise unser Gesundheitssystem. Tausende Frauen müssen in Folge von Partnerschaftsgewalt ärztlich behandelt werden. Die Ursache für solche gesellschaftlich tolerierten Fehlentwicklungen sind in vielen Fällen Geschlechterstereotype, die Jungen und Männer von Geburt an prägen – im Beruf, in den Medien, im Bildungssystem oder im Freundeskreis. Jungen lernen früh, dass sie dominant, laut und konkurrenzorientiert handeln müssen, um sich im Wettstreit gegen ihre Geschlechtsgenossen durchzusetzen. Wagen sie es, Gefühle, Überforderung oder Schwäche zu zeigen, wird dies zügig mit männlich konnotierten Abwertungen wie Memme, Weichei oder Warmduscher sanktioniert. In der Folge spalten viele Männer ihre Gefühlswelt ab und haben so keinen Zugang mehr zu elementaren Emotionen wie Angst, Unsicherheit, Scham oder Trauer. Die Folgen lassen sich in entsprechenden Statistiken ablesen. Was aber können wir gegen diesen ungesunden patriarchalen Kreislauf tun?
Ich schlage Folgendes vor: Erstens muss die Statistik regelmäßig und prominent über die unnötigen Unterschiede zwischen den Geschlechtern in verschiedenen Gesundheitsbereichen berichten. Erst wenn die Schieflage bekannt ist und die Folgekosten transparent werden, kann ein Bewusstsein für notwendige Maßnahmen entstehen. Zweitens sollte es einen gesundheitspolitischen Gleichstellungsmonitor geben. Die Daten und auch die Kosten müssen unbedingt für Bürger, Journalisten und Politiker abgebildet werden, damit positive, aber auch negative Entwicklungen im Zeitablauf frühzeitig erkannt werden. Drittens müssen Stereotype durchbrochen werden. Die Krankenkassen könnten durch verstärkte soziale Marketingkampagnen junge Menschen, aber auch Erwachsene über die Wirkmacht von Stereotypen sowie über die Folgen ungesunden Geschlechterverhaltens aufklären. Ungesundes männliches Verhalten wird über einen Zeitraum von 20 Jahren volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von mehr als einer Billion Euro verursachen. In Zeiten knapper Kassen sind gerade die Krankenkassen gefordert, jetzt zu investieren, um unnötige Kosten in der Zukunft zu vermeiden, aber auch, um individuelles Leid von Frauen, von Kindern und von Männern abzuwenden.