Interview

„Digitalisierung kann Pflege entlasten“

Die Universitätsmedizin Essen nutzt digitale Möglichkeiten verstärkt auch im Pflegebereich, sagt Andrea Schmidt-Rumposch. Der Pflegedirektorin ist dabei wichtig, nichts von oben herab zu vermitteln, sondern alle Mitarbeitenden aktiv in Prozesse mit einzubeziehen.

Frau Schmidt-Rumposch, warum ist Digitalisierung in der Pflege so wichtig?

Andrea Schmidt-Rumposch: Die Digitalisierung ist alternativlos, denn wir haben in Zukunft immer mehr Menschen mit immer weniger Fachpersonen zu versorgen. Die Pflege leistet immer noch einen großen Anteil an pflegefernen Tätigkeiten. Wir müssen umschichten, damit mehr Zeit für die direkte Patientenversorgung bleibt. Und hier kann uns Digitali­sierung helfen und entlasten. Wichtig ist: Digitalisierung soll uns unterstützen, aber sie soll auf keinen Fall ein Ersatz für die Pflege sein. Denn wir brauchen die direkte Versorgung von Mensch zu Mensch.

Porträt von Andrea Schmidt-Rumposch, Pflegedirektorin und Mitglied des Vorstands der Universitätsmedizin Essen

Zur Person

Andrea Schmidt-Rumposch ist seit 2017 Pflegedirektorin und Mitglied des Vorstands der Universitätsmedizin Essen. Die studierte Krankenpflegerin ist seit 35 Jahren im Pflegebereich tätig, davon mehr als 25 Jahre in der Charité Berlin. Der Bundesverband Pflegemanagement zeichnete sie zur Pflegemanagerin des Jahres 2023 aus.

Was macht Ihr Haus anders als andere Kliniken?

Schmidt-Rumposch: Wenn wir in unseren Lenkungsgruppen die Digitalisierungsprozesse steuern, ist Pflege ganz aktiv dabei. Wir haben von Anfang an gesagt: Wenn wir digitale Verfahren einführen, dann gibt es auch Support. Wichtig ist es, vor jeder Implementierung einen Prozess zu testen und gegebenenfalls nachzujus­tieren. Dazu stellen wir den Pflegefachpersonen auf Station Pflegewissenschaftler zur Seite. Die Einführung der elektronischen Patientenakte wurde mit Trainern unterstützt. So nehmen wir alle mit.

Wo findet Digitalisierung im Pflegebereich der Universitätsmedizin Essen ganz konkret statt?

Schmidt-Rumposch: Wir haben den Pflegeprozess, von der Anamnese über die Risikoerfassung bis hin zum Entlass­management und der Evaluation, digital abgebildet. So können alle unmittelbar auf die gleichen Daten schauen und haben einen echten Mehrwert. Wir nutzen Tablets auch zur Wunddokumentation, sodass niemand mehr mit einer Kamera herumlaufen muss. Wir haben Bettensensorik getestet und mittlerweile implementiert, um Bewegungsprofile zu erstellen. So lassen sich Patienten individueller lagern, Sturzprophylaxe wird zielgerichteter.

Digitalisierung soll uns unterstützen, aber kein Ersatz für die Pflege sein.

Wie lassen sich bei Pflegenden Kompetenzen im Bereich Digitalisierung schaffen – gerade auch im Hinblick auf die verschiedenen Berufshintergründe?

Schmidt-Rumposch: Wir ermöglichen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Schulungen und interprofessionelle Fortbildungen. Dazu kooperieren wir auch mit dem Studiengang „Digi­talisierung und Pflege“ an der FOM Hochschule in Essen, den wir mitentwickelt haben. Hier haben unsere Auszubildenden die Möglichkeit, ein duales Studium zu absolvieren. Wir bieten diesen Studiengang aber auch berufs­begleitend an. So bilden wir Multi­­pli­katoren aus. Digitalisierung wird bei uns im Haus schon seit mindestens acht Jahren gelebt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Pflege?

Schmidt-Rumposch: Seit drei Jahren haben wir die generalistische Pflegeausbildung. Ganz glücklich bin ich damit noch nicht. Die Ausrichtung unseres Gesundheitssystems ist nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen eine Neudefinition und Erweiterung pflegerischer Tätigkeitsfelder, die auch gesetzlich verankert werden müssen. Andere Länder gestehen Pflegenden viel mehr Kompetenzen zu. Das ist dort ganz normal. Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass bundesweit alle an einem Strang ziehen und Pflege endlich Gehör findet. Dann könnten wir wirklich etwas bewegen.

Tina Stähler führte das Interview. Sie ist Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: Universitätsmedizin Essen