„Häusliche Gewalt könnte auch im Gesundheitssystem erfasst werden“
Häusliche Gewalt braucht nicht nur ein funktionierendes Monitoringsystem, sondern auch Handlungsleitfäden für den Umgang mit Opfern in medizinischen Einrichtungen. Die Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Petra Brzank sieht hier die Gesundheitspolitik in der Pflicht.
Wie ließe sich das genaue Ausmaß häuslicher Gewalt erfassen?
Petra Brzank: Laut der Istanbul-Konvention ist Deutschland verpflichtet, ein Monitoringsystem zu entwickeln. Häusliche Gewalt könnte auch im Gesundheitssystem erfasst werden, hierfür bräuchte es beispielsweise einen ICD-Schlüssel. Das Problem: Die Datensicherheit muss gewährleistet sein. Gemäß dem Verursachungsprinzip fordern die Krankenkassen die Behandlungskosten von den Verursachern ein, was die Sicherheit der Opfer massiv gefährdet. Die Tötungsgefahr ist sehr hoch, wenn die Täter erfahren, dass die Frau über die Taten gesprochen hat.
Zur Person
Prof. Dr. Petra Brzank ist Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin an der Hochschule Nordhausen.
Wie gut ist das medizinische Personal in Krankenhäusern und Praxen auf den Umgang mit Opfern von häuslicher Gewalt vorbereitet?
Brzank: Wir haben 2021 Berliner Gesundheitsfachkräfte zur Versorgung nach Partnerschaftsgewalt befragt. Mit 96 Prozent ist der überwiegende Teil der Antwortenden bereit für eine Unterstützung Betroffener. Handlungsunsicherheiten bestehen vor allem bei der Dokumentation der Verletzungen, das sagten 37 Prozent. Beim Abklären der akuten Gefährdung der Frau beziehungsweise der Unterstützung für ihre Kinder gaben je 35 Prozent an, unsicher zu sein. Als Barrieren für eine Unterstützung nannten 46 Prozent, dass sie sich im Umgang mit Betroffenen nicht sicher fühlten, 41 Prozent gaben an, sie hätten nicht genügend Zeit für Gespräche und 40 Prozent bemängelten fehlende interne Handlungsleitfäden.
Wo muss die Politik noch stärker aktiv werden?
Brzank: Gewalt ist das größte Gesundheitsrisiko für Frauen, das hohe Kosten vor allem im Gesundheitssystem verursacht. Daraus ergibt sich der Handlungsbedarf für die Gesundheitspolitik. Gesundheitsfachkräfte sehen ihre Handlungsmöglichkeit und wünschen sich einen gesicherten und vergüteten Rahmen. Die Gesundheit und die Bedarfe der betroffenen Frauen sollten im Fokus stehen. Laut Istanbul Konvention hat das Gesundheitsministerium einen Handlungsauftrag. Aus- und Weiterbildung des Fachpersonals und die Vergütung betreffen schließlich die gesamte Bundesrepublik. Die Istanbul-Konvention hat seit 2018 auch in Deutschland Gesetzeskraft. Zurückhaltung ist da nicht angebracht.
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