Initiative

Hilfen für die psychische Gesundheit

Die EU-Kommission will die Früherkennung, Prävention und Behandlung von seelischen Erkrankungen mit über einer Milliarde Euro fördern. Vorsorge- und Therapieangebote sollen allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern zeitnah zur Verfügung stehen. Von Thomas Rottschäfer

Die Corona-Pandemie wirkt nach.

Nach Zahlen der EU-Kommission litten in den 27 Mitgliedsländern der Staatengemeinschaft schon vor der Krise rund 84 Millionen Menschen unter psychischen Gesundheitsproblemen. Jetzt seien es deutlich mehr. Die Pandemie habe vor allem die psychische Verfassung junger Menschen zusätzlich belastet, sagte Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas bei der Vorstellung einer Initiative zur psychischen Gesundheit in Brüssel. Sie beinhaltet 20 Leitinitiativen mit Projekten zur Früherkennung, Prävention und Behandlung seelischer Erkrankungen.
 
Für das Programm stellt die Kommission rund 1,23 Milliarden Euro bereit. Diese Summe ist mehr als bescheiden im Vergleich zu den durch psychische Erkrankungen verursachten Kosten für Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialversicherungen. Die Kommission beziffert diese mit mehr als 600 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU.

Die Initiative geht auch auf eine Forderung des Europäischen Parlaments und auf die von EU-Bürgern bei der „Konferenz zur Zukunft Europas“ formulierten Anregungen zurück. Die Messlatte hängt hoch: Alle Betroffenen in den EU-Staaten sollen zeitnah Zugang zu Vorsorge- und Behandlungsangeboten er­halten. „Wir müssen Stigmatisierung und Diskriminierung aufbrechen, damit Menschen in Not die Unterstützung erhalten, die sie brauchen“, betonte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Es gehe da-rum, seelische und körperliche Gesundheit auf eine Stufe zu stellen.

Europäischer Kodex vorgesehen.

Als Leitmotive der Initiative nannten Kyriakides und Schinas „angemessene und wirkungsvolle Prävention, Zugang zu hochwertiger und bezahlbarer psychischer Gesundheitsversorgung und Behandlung sowie die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Genesung“. Es gehe darum, das Thema in allen Politikfeldern zu verankern, die Wirtschaft einzube­ziehen und Unternehmen für psycho­soziale Gefahren am Arbeitsplatz zu sensibilisieren.

Vorgesehen ist zudem eine Initiative zur Depressions- und Suizidprävention, ein europäischer Kodex für psychische Gesundheit sowie verstärkte medizinische Forschung. Fördermittel sollen auch in Schulungs- und Austauschprogramme für Fachkräfte fließen. Überdies will die Brüsseler Kommission Reformen der psychiatrischen Versorgung in einzelnen EU-Ländern unterstützen.

Präventionsprojekte für Kinder.

Die Leit­initiativen sehen spezielle Präventionsprojekte für Kinder und Jugendliche vor. Dabei sollen auch die Schulen einbezogen werden. Laut EU-Statistik ist Selbstmord nach Verkehrsunfällen die zweit­häufigste Todesursache bei jungen Menschen zwischen 15 und 19 Jahren. Nach der Pandemie habe sich die Zahl der jungen Menschen mit Depressionen mehr als verdoppelt, heißt es im Initiativpapier.

Und weiter: „Junge Menschen haben zunehmend mit Ängstlichkeit, Trauer oder Angst, Selbstschädigung, geringem Selbstwertgefühl, Mobbing und Ess­störungen zu kämpfen.“ In diesem Zusammenhang gelte es zudem, Kinder und Jugendliche „im digitalen Umfeld“ besser vor falschen Schönheitsidealen, sexuellem Missbrauch, Cybermobbing, Hetze, aggressiver Onlinevermarktung ungesunder Lebensmittel oder suchtähnlichem Nutzen digitaler Angebote zu schützen.

Schutz für vulnerable Gruppen.

Im Blick hat die Initiative weitere, besonders schutzbedürftige Gruppen: ältere Menschen, Personen in sozialen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Menschen mit Behinderungen und Migranten. Spezielle Hilfe kündigte Vizepräsident Schinas für Geflüchtete aus der Ukraine an. Dabei gehe es besonders um durch den Krieg traumatisierte Kinder. Nicht zuletzt spielt bei der EU-Initiative auch eine sichere Versorgung mit Arznei­mitteln und der Ausbau telemedizinischer Versorgungsangebote eine Rolle.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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