Neues aus der Uni

„Politische Entscheidungen werden (zu) oft ohne Kontakt zur Wissenschaft gefällt“

In der Rubrik „Neues aus der Uni“ stellt G+G-Digital Institute und Lehrstühle vor. Dieses Mal mit drei Fragen an Prof. Dr. Thomas M. Deserno, geschäftsführender Direktor des Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover.

Herr Prof. Deserno, was ist derzeit Ihre wichtigste wissenschaftliche Fragestellung?

Thomas M. Deserno: Die digitale Transformation kann helfen, unser medizinisches Versorgungssystem von einer rein symptomgesteuerten therapeutischen Medizin hin zu einer prognosegesteuerten präventiven Medizin zu wandeln. Mit Medizinischer Informatik können Sensoren in unseren privaten Umgebungen wie dem Auto (Smart Car) oder der Wohnung (Smart Home) integriert werden, die unseren Gesundheitszustand über lange Zeiträume kontinuierlich erfassen. So wird es möglich, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und effektiv zu behandeln oder Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall zu vermeiden. Die sich hierbei ergebenden Herausforderungen bei der Datengenerierung, sicheren Zusammenführung und Auswertung zu lösen ist eine wichtige Fragestellung an die Wissenschaft.

Thomas Deserno, geschäftsführender Direktor des Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover

Zur Person

Prof. Dr. Thomas M. Deserno studierte an der RWTH Aachen Elektrotechnik (Nachrichtentechnik), promovierte dort in der Informatik und habilitierte sich an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen für das Fach Medizinische Informatik. 2006 war er Visiting Faculty an den National Institutes of Health (NIH) in den USA. Seit 2017 leitet er den Standort Braunschweig des Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI). Er ist derzeit geschäftsführender Direktor des PLRI und Präsident der European Federation for Medical Informatics (EFMI).

Wie fördern Sie die Kooperation wissenschaftlicher Disziplinen und die Netzwerkbildung?

Deserno: Um die genannten Probleme zu lösen, müssen Mediziner, Informatiker, Ingenieure, aber auch Juristen und Sozialwissenschaftler zusammenarbeiten. Die Gründung des PLRI als Zusammenschluss zweier Institute der Medizinischen Hochschule Hannover und der TU Braunschweig hat 2007 hierzu den Grundstein gelegt. Seither ist das wissenschaftliche Team am PLRI sehr interdisziplinär. Für das Auto arbeiten wir zudem zum Beispiel mit dem Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) und für die Wohnung zum Beispiel mit der Nibelungen Wohnbau GmbH eng zusammen. Darüber hinaus ist das PLRI auch international gut vernetzt, etwa mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Bereich der Standardisierung.

Ist die Politik gut beraten, wenn sie auf die Wissenschaft hört?

Deserno: Politische Entscheidungen sollten immer auf einer soliden wissenschaftlichen Basis beruhen, die vor allem auch neueste Erkenntnisse berücksichtigt. Aus meiner Sicht werden Entscheidungen aber (zu) oft ohne Kontakt zur Wissenschaft gefällt.

Silke Heller-Jung führte das Interview. Sie hat in Frechen bei Köln ein Redaktionsbüro für Gesundheitsthemen.
Bildnachweis: PLRI, Foto Startseite: iStock.com/uschools