Implantat vonnöten? Beim Einsatz künstlicher Gelenke kommt es auf eine hohe Versorgungsqualität an.
Versorgungsqualität

Lücken im Registergesetz

Das gesetzlich vorgesehene Implantateregister Deutschland soll die Sicherheit sowie die Qualität von Implantaten und die medizinische Versorgung damit verbessern. Um dies zu erreichen, muss die Politik bei den rechtlichen Vorgaben nachjustieren. Von Dr. Jürgen Malzahn

Im Jahr 2012

hat das Endoprothesen­register Deutschland (EPRD) seinen Probebetrieb gestartet. Die gemeinsame Initiative der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chi­rurgie (DGOOC), des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed), des AOK-Bundesverbandes und des Verbandes der Ersatzkassen ist seit seinem Start zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Es kann als Vorbild für das Implantateregister Deutschland (IRD) dienen, dessen Echtbetrieb noch nicht absehbar ist. Das EPRD ist innerhalb kürzester Zeit als Europas zweitgrößtes medizinisches Register für Hüft- und Knieendoprothetik aufgebaut worden. Inzwischen beteiligen sich am EPRD etwa 750 Krankenhäuser mit freiwilligen Datenlieferungen.

Patientensicherheit großgeschrieben.

Dem freiwilligen Engagement der beteiligten Partner ist es zu verdanken, dass es relativ schnell ging mit dem Start des Deutschen Endoprothesenregisters. Das war nur möglich, weil die Beteiligten gemeinsam das Ziel verfolgt haben, die Patientensicherheit in Deutschland voranzubringen. So haben alle an einem Strang gezogen und es geschafft, das EPRD in Rekordzeit arbeitsfähig zu machen. Schon 2016 konnte der erste Jahres­bericht vorgelegt werden. Das ist auch im Vergleich zu den staatlichen Registern, die in vielen anderen Ländern aufgebaut worden sind, unglaublich schnell.

Millionen Datensätze ausgewertet.

Mehr als zwei Millionen Datensätze von gelenkersetzenden Operationen sind bis heute im EPRD analysiert und ausgewertet worden. Aus den Registerdaten lassen sich zahlreiche Informationen zu unterschiedlichen Zwecken gewinnen. Bei Implantateregistern geht es in erster Linie um das Monitoring der Qualität von Implantaten.

Die Daten liefern wichtige Informationen zur Qualität der Versorgung.

Nach den Serienschäden bei den so­genannten Metall-auf-Metall-Hüftimplantaten ab dem Jahr 2009 war es den Akteuren des EPRD ein Anliegen, die Performance von Implantaten besser zu überwachen. Künftig sollten systema­tische Fehler bei Endoprothesen früh­zeitig erkannt werden, damit den Patientinnen und Patienten im Falle schadhafter Produkte so wenig Schaden wie möglich entsteht. Denn obwohl es im Jahr 2009 bereits Hinweise aus anderen Ländern auf die Probleme mit den Metall-auf-Metall­implantaten gab, sind diese Medizin­produkte in Deutschland zum Teil noch bis 2011 implantiert worden. Auch wenn seitdem bei den Hüft- und Knieendoprothesen vergleichbare Serienschäden nicht mehr auftraten, ist es ein Gewinn, dass die Versorgungsqualität nun durch das EPRD geprüft und abgesichert wird. Das Ziel, nur nachweislich sichere Endoprothesen in der Versorgung zu haben, ist so erreicht worden.

Beitrag zur Versorgungsforschung.

Gute Implantateregister leisten aber sehr viel mehr. Aus den Daten des EPRD lassen sich viele versorgungsrelevante Fragen im Zusammenhang mit der Behandlung der jährlich rund 400.000 Patientinnen und Patienten beantworten. Denn die Auswertungsspezialistinnen und -Spezialisten des EPRD haben Daten zur Alters­verteilung, zum Geschlecht, zu Vor­erkrankungen der Patientinnen und Patienten sowie zu den Gründen für Wechseloperationen. Nicht zuletzt liegen auch Daten zur Haltbarkeit der Implantate vor. Darüber hinaus werden die unterschiedlichen Versorgungsformen (zum Beispiel OP-Zugangsweg, zementiert oder zementfrei) erfasst. Daher finden sich in den Jahresberichten des EPRD viele behandlungsrelevante Informationen, die von den Kliniken für ihre tägliche Arbeit genutzt werden.

Impulse für die Krankenhausreform.

Aber auch Impulse für eine qualitativ hochwertige Krankenhausreform lassen sich aus den EPRD-Daten ableiten. Sie zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für den Wechsel eines Hüftimplantats von der Höhe der Fallzahlen in einer Klinik abhängt. Wegen der hohen Fallzahlen, die im Register erfasst werden, sind diese Ergebnisse belastbar und unterstreichen die Notwendigkeit von Mindestmengen in der endoprothetischen Versorgung.

Schnelle Information bei Rückruf.

Außerdem leistet das EPRD einen wichtigen Beitrag zur Patientensicherheit. Wenn es zum Rückruf eines Produkts kommt, können betroffene Patientinnen und Patienten über das Register datenschutzkonform und schnell informiert werden.

Verlaufsgrafik, die das Ausfallrisiko nach Hüftimplantation zeigt

Aktuelle Zahlen des Endoprothesenregisters (EPRD) belegen: Bei den Hüft-Totalendoprothesen (HTEP) besteht ein Zusammenhang zwischen dem Body-Maß-Index BMI (Quotient aus dem Körpergewicht und der quadrierten Körpergröße in Metern) und dem Ausfallrisiko der endoprothetischen Versorgung. Dies ist besonders groß bei Patientinnen und Patienten mit einem BMI ab 40. Bei normalgewichtigen Patientinnen und Patienten (BMI unter 25) ist das Risiko deutlich geringer. Dieser Zusammenhang unterstreicht die Notwendigkeit eines Behandlungskonzepts, das über die Operation hinausgeht.

Quelle: EPRD-Jahresbericht 2022

Zudem haben die Partner des EPRD vereinbart, dass bei Serienschäden den Krankenkassen auch die Namen der betroffenen Patientinnen und Patienten mitgeteilt werden, sofern diese der Übermittlung der Daten an das EPRD zugestimmt haben. Zwar haben die Krankenhäuser eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung, aber in der Praxis ist das Meldeverfahren im Falle von Serien­schäden für die implantierenden Kliniken und Krankenkassen aufwendig und fehleranfällig. Deshalb ist das EPRD wichtiger Bestandteil eines robusten Sicherheitssystems und trägt zur Vermeidung von unnötiger Bürokratie bei.

Webfehler im Gesetz.

Freiwillige Register wie das EPRD haben aber auch ihre Grenzen. Denn Kliniken, Endoprothesen-Hersteller und Kassen sind nicht verpflichtet, sich an einer solchen Initiative zu beteiligen. Daher sind nicht alle Implantate, alle Kliniken und alle Patienten im Register erfasst. Zudem ist es wegen der nicht vollständigen Daten nur begrenzt möglich, der Öffentlichkeit Qualitätsinformationen über einzelne Kliniken zugänglich zu machen.

Besser ist also eine vollständige Erfassung aller Fälle. Daher ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber mit dem Implantateregistergesetz eine rechtliche Grundlage für eine verpflichtende Teilnahme aller Akteure am IRD beschlossen hat. In der Umsetzung ist es aber zu einigen Webfehlern gekommen. So haben bei der Erstellung des Implantateregistergesetzes 2019 nur Teile der Erfahrungen des EPRD Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden. Die Defizite sind offensichtlich: Das Bundesgesundheitsministerium hat es bis heute nicht geschafft, ein gesetz­liches Implantateregister in den Regel­betrieb zu bringen. Die Komplexität der Aufgaben ist offenbar unterschätzt worden. So konnte bisher nur ein Probebetrieb mit Brustimplantaten begonnen werden.

Regelbetrieb frühestens 2025.

Im Bereich der Endoprothetik hätte es durchaus pragmatische Möglichkeiten für einen schnellen Start gegeben. Leider sind sie nicht genutzt worden. Die Folge ist, dass das gesetzliche Register für Endoprothesen frühestens im Jahr 2025 an den Start gehen kann, also sechs Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes. Vorher sind aber noch viele Fragen rund um die technische Abwicklung zu klären. Auch gibt es noch keine datenschutzkonforme Lösung, wie die vom EPRD erhobenen Daten im Rahmen des IRD weiter genutzt werden können. Sollte es mit der weiteren Nutzung nicht klappen, wird man frühestens fünf Jahre nach dem Neustart wieder belastbare Daten zur Qualität der eingesetzten Implantate haben, also erst ab 2030. Das ist niemandem zu vermitteln – am wenigsten den Patienten, um deren Sicherheit es schließlich geht.

Hoheitliche Aufgaben übertragen.

Dabei wäre die Lösung eigentlich ganz einfach: Es gibt mit dem EPRD ein technisch und inhaltlich hervorragend funktionierendes Register, und der Gesetzgeber könnte die Aufgaben des IRD zumindest für eine Übergangszeit von beispielsweise fünf Jahren auf das EPRD übertragen. Diese Form der „Beleihung“, also die Über­tragung hoheitlicher Aufgaben, ist hierzulande keinesfalls unüblich. So wird zum Beispiel die Sicherheitsüberprüfung der Kraftfahrzeuge nicht vom Bundesverkehrsministerium durchgeführt, sondern vom TÜV.

Verlaufsgrafik, die darstellt, dass je größer die Erfahrung einer Klinik ist, desto weniger Wechseloperationen stattfinden müssen

Nach den jüngsten Daten des Endoprothesenregisters (EPRD) hängt die Wahrscheinlichkeit für den Wechsel einer Hüft-Totalendoprothese (HTEP) von der Höhe der Fallzahlen eines Krankenhauses ab. Bei Kliniken, die laut ihren Qualitätsberichten entsprechende Implantationen öfter durchführen, sind niedrigere Ausfallwahrscheinlichkeiten zu beobachten. Dies macht deutlich, wie wichtig Mindestmengen für die Qualität der Versorgung sind.

Quelle: EPRD-Jahresbericht 2022

Am Ende der vergangenen Legislaturperiode fehlte den damaligen Koalitionären vielleicht die Kraft, das Implan­tateregistergesetz entsprechend anzupassen. Zudem haben sicherlich die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg das Thema bei der jetzigen Ampelkoalition in den Hintergrund rücken lassen. Schon bei der Vorgängerregierung war der Prozess zur Errichtung des IRD ins Stocken geraten – und bislang hat es trotz zahlreicher Im­pulse der Träger des EPRD keine Nachbesserungen ge­geben. Angesichts des zähen Prozesses ist es an der Zeit, die Situation neu zu bewerten und die Fehler im Gesetz zu bereinigen.

Aufschieben ist keine Option.

Statt den Echtbetrieb des IRD Jahr für Jahr aufzuschieben und die Entwicklung von Registern für weitere Medizinprodukte neben den Brustimplantaten ins nächste Jahrzehnt zu verlegen, ist eine schnelle und pragmatische Lösung vonnöten. Eine Lösung ist die Übertragung der gesetzlichen Aufgaben an das EPRD – unter Beibehaltung der aktuell bestehenden Strukturen. Mit einer entsprechenden Gesetzesänderung könnte die Umsetzung sehr schnell erfolgen.

Produktdaten an Kassen übermitteln.

In diesem Zuge sollten weitere Nachbesserungen erfolgen. So ließe sich Bürokratie vermeiden, wenn die Produktdaten der Endoprothesen in die Abrechnungs­datensätze der Krankenkassen integriert und von den Kassen an die Registerstelle des IRD übermittelt würden. Auch zur Bereitstellung weiterer, für Analysen erforderliche medizinische Informationen über die Patientinnen und Patienten sollten Kassendaten genutzt werden, wie es Standard beim EPRD ist. Die im Implantateregistergesetz vorgesehene Übermittlung fast aller Informationen durch die Kliniken erzeugt vermeidbare Aufwände und ist zudem fehleranfällig. Schließlich erinnern sich nicht alle Patienten an alle relevanten Vorerkrankungen. Bei den Kassen liegen diese Informationen als Diagnosen und Proze­durenschlüssel vor. Die erneute und mutmaßlich unvollständige Erfassung dieser Informationen in den Kliniken ist nicht nur entbehrlich – sie wird auch zu entsprechenden Belastungen der Patientinnen und Patienten führen und ärztliche Kapazitäten binden.

Abgesehen davon sind aus Sicht der AOK weitere grundlegende Änderungen im Implantateregistergesetz notwendig. Der Aufbau der Register wird im Wesentlichen mit dem Thema „Gefahrenabwehr“ begründet. Das Fokussieren auf Gefahrenabwehr ist aber zu eng gefasst. Denn Register können, wie oben gezeigt, wichtige Rollen hinsichtlich Patientenschutz, Qualitätssicherung und Versorgungsforschung spielen.

Daten verknüpfen.

Im Innovationsfonds-Projekt „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren WiZen“ hat die AOK gemeinsam mit vielen weiteren Partnern gezeigt, dass die Verknüpfung der Daten aus klinischen Krebsregistern mit den Routinedaten der Krankenkassen aus der Abrechnung mit den Kliniken wichtige Erkenntnisse für die Versorgung der Patientinnen und Patienten liefern kann.

Auch durch die Verknüpfung der EPRD-Daten mit den Daten aus der gesetzlichen Qualitätssicherung ließen sich wertvolle Informationen für mehr Patientensicherheit gewinnen. Die EPRD-Datensätze liefern schon heute viele spannende Informationen über die einzelnen Kliniken, die bisher aber nicht genutzt werden können. Das würde sich wegen der aktuellen Gesetzeslage auch nach dem Start des IRD nicht ändern, weil dafür keine Regelungen vorgesehen sind. Hier sollte der Gesetz­geber im Sinne der Patientensicherheit und der Versorgungsforschung dringend nachbessern. Es lohnt sich, diese Themen jetzt anzugehen. Geschieht dies nicht, wird eine Chance zur Bekämpfung des Fachkräftemangels durch Bürokratieabbau im ärztlichen Bereich ohne Not verschenkt.

Chancen zügig nutzen.

Bei den Krebsregistern hat es knapp zehn Jahre ge­dauert, bis Studien eindrucksvoll gezeigt haben, welche Chancen in der Verknüpfung mit anderen Datenquellen liegen. Bei den Implantateregistern sollte es nicht so lange dauern. Denn es gilt, die großen Chancen, die die Digitalisierung und die Verknüpfung der verschiedenen „Datenschätze“ für Patientenschutz, Versorgungsforschung und Qualitätssicherung bieten, jetzt zügig zu nutzen.

Jürgen Malzahn leitet die Abteilung Stationäre Versorgung, Rehabilitation im AOK-Bundesverband.
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